Mittwoch, Dezember 4, 2024
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Daniel Reiter (Uni Graz): Wirtschaftspolitik – Eine Problemskizze

Foto: WIPOL-Steiermark

Nicht lange mussten die kürzlich an Board geholten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des neuen WIPOL-Jahrgangs warten, bis die erste inhaltliche Auftaktveranstaltung anstand: Daniel Reiter, Ökonom und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für VWL an der Uni Graz, stellte sich keiner geringeren Aufgabe, als die Grundfragestellung der Wirtschaftspolitik sowie ihre Probleme in einem knapp anderthalbstündigen Vortrag zu umreißen – „natürlich sehr ambitioniert“ sei das, so unser Gast bevor er loslegte. Aber so viel sei gesagt: Der kurzweilige Vortrag eignete sich gut als Einführungsveranstaltung in das Themengebiet. Besonders die Studierenden, die keinen Economics-Hintergrund haben, erlangten an diesem Abend einen guten Überblick, ohne jedoch mit schwerverdaulichen Theorien und Herleitungen erschlagen worden zu sein.

Es gibt zwei Arten der Wirtschaftspolitik: die theoretische und die praktische. Zu Letzterer zählen Aufgabenfelder wie die Ordnungs-, Struktur-, Konjunkturpolitik. Für Reiter zähle hierzu aber auch die Sozialpolitik. Mittlerweile würden viele auch Umweltpolitik dazuzählen.

Theoretisches Fundament:

Um die Grundfragen der Wirtschaftspolitik mehr zu verstehen, legte unser Gast für den Vortrag ein theoriegeschichtliches Fundament. Denn zentrales Problem der Wirtschaftspolitik sei: „Auch nach mehr als 300 Jahren ökonomischen Denkens, ist man sich noch immer nicht einer Meinung, wie stark ein Staat überhaupt in die Wirtschaft eingreifen soll.“

Über Persönlichkeiten und Denkschulen, die die Wirtschaftswissenschaften stark prägten, arbeitete Reiter so zwei Hauptströmungen der wirtschaftspolitischen Ansichten heraus: Liberale, die für möglichst viel Marktfreiheit und Individualität stehen, stehen jenen gegenüber, die einen staatlichen Eingriff in das makroökonomische Geschehen auf verschiedenste Formen für notwendig halten.

So erzählte unser Gast vom Merkantilismus als dem ersten wirtschaftspolitischen System, das vor allem ein Mehr an Macht durch mehr Reichtum anstrebte. Auch Adam Smith, der schon damals (neben vielen anderen wichtigen ökonomischen Erkenntnissen) die Wichtigkeit von Bildungspolitik erkannte spielte eine Rolle. Weiters waren da Karl Marx, als Kritiker des klassischen Liberalismus sowie des Say’schen Gesetzes, Alfred Marshall, der einen staatlichen Eingriff für öffentliche Güter forderte, die Neoklassiker, die auf den Homo Oeconomicus als ihren Hauptakteur setzten, den Keynesianismus, der nur durch eine regierungsgesteuerte Makroökonomie Vollbeschäftigung für möglich hält und strikt zwischen Marko- und Mirkoebene trennt, sowie den Monetaristen und deren größten Feinde, die Inflation und der Wohlfahrtsstaat.

Den theoretischen Input beschloss Daniel Reiter mit den drei von Richard Musgrave definierten Funktionen eines Staates (Allokationsfunktion, Verteilungsfunktion, makroökonomische Stabilisierungsfunktion) und dem „magischen Vieleck“, ein Konzept, das die verschiedenen Ziele der Wirtschaftspolitik veranschaulicht.

So weit, so gut in der Theorie: Aber wie sieht Wirtschaftspolitik in der Praxis aus? Der Ökonom stieß kurz das Thema Fachkräftemangel an: Dieser sei besonders durch den demographischen Wandel stark auf dem Vormarsch. Mögliche Lösungen dafür sieht Reiter etwa in der Migration und durch Schließen des Gender Gap. Denn nur so könne das Erwerbspotential ausgeschöpft und der Fachkräftemangel gemildert werden.

Am Schluss des Vortrags blieb noch Zeit für Fragen: Vor allem der wissenschaftliche Diskurs in den Wirtschaftswissenschaften interessiert die Teilnehmer*innen: Etwa wie ernst Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem und der Wirtschaftspolitik (Stichwort: Doughnut Economy, Degrowth) wahrgenommen werden oder ob er sich vorstellen könne, dass Ökonom*innen irgendwann einmal – nach jahrhundertelanger Uneinigkeit – einstimmig für eine bestimmte Form der Wirtschaftspolitik argumentieren würden. Dazu gibt uns unser Gast abschließend folgende Weisheit mit auf den Weg: „Wirtschaftspolitik ist keine Naturwissenschaft.“ Denn ihr zentraler Gegenstand sei der Mensch, dessen Verhalten nie in eine allgemeingültige mathematische Formel übersetzt werden könne.

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