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Migration und Grenzpolitik im 21. Jahrhundert

Spanische Grenze, Stacheldrahtzaum und Aufsichtsturm

In den letzten Jahren hat sich ein weitreichender politische Rechtsruck angebahnt, der immer größere Ausmaße annimmt. Durch diesen werden Migration und Grenzen immer mehr politisiert und polarisieren den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Wie sind die Diskursverschiebung und Schlagworte wie eine Festung Europa einzuordnen? Wie wird und wurde Grenzpolitik in Europa gelebt und wo gibt es Unterschiede und wie können Migration und Grenzpolitik im 21. Jahrhundert neu gedacht werden? Darüber haben wir am 26. März 2025 mit Prof. Dr. Bilgin Ayata gesprochen.

Migration im historischen Kontext und aktuelle Zahlen

Undokumentierte Migration ist kein neues Phänomen. Bereits während des Zweiten Weltkriegs gab es erhebliche Bewegungen von Menschen ohne offizielle Dokumentation. Außerdem ist Migration ein prozentuell geringes Phänomen. Heute leben weltweit etwa 281 Millionen Migrant*innen, was etwa 3,6 % der globalen Bevölkerung entspricht. Darunter sind rund 89,3 Millionen Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Konflikten oder Menschenrechtsverletzungen zur Flucht gezwungen wurden. Gerade im Anbetracht der medialen und politischen Präsenz von Migrationsthemen ist es wichtig, die Größenordnung zu kontextualisieren.

Versicherheitlichung der Migration und ihre Folgen

Im politischen und medialen Diskurs gibt es zunehmend die Tendenz, Migration als Sicherheitsproblem darzustellen. Ereignisse wie die Anschläge vom 11. September 2001 führten dazu, dass Migration vermehrt mit nationaler Sicherheit und sozialer Kohäsion verknüpft wird. Dabei geraten die menschlichen Aspekte oft in den Hintergrund, während Migrant*innen kriminalisiert werden. Ein erschreckendes Beispiel hierfür ist die steigende Zahl von Todesfällen im Mittelmeer: Allein im Jahr 2024 sind über 3.000 Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen, ertrunken. Wegen repressiver Flüchtlingspolitik verlagern sich die Fluchtrouten zunehmend auf immer gefährliche Seerouten. Trotz dieser alarmierenden Zahlen findet dieses Thema kaum noch mediale Beachtung.​

Hotspot-Ansatz in Griechenland und Italien 

In Griechenland und Italien wurde jeweils der Hotspot-Ansatz von der EU eingeführt, um die Ankunft und Registrierung von Geflüchteten an den Außengrenzen besser zu steuern. In diesen Hotspots sollen Identitätsprüfungen, Asyl- und Rückführungsverfahren zentralisiert stattfinden. Die EU stellt dafür umfangreiche Fördermittel bereit, jedoch bedeutet die Umsetzung auch, dass die betroffenen Staaten Teile ihrer Souveränität im Migrationsmanagement an die EU abtreten. In Griechenland führte dieser Ansatz zu langen Aufenthaltszeiten in vielerorts unmenschlichen Bedingungen. Der Hotspot-Ansatz steht auch im Zusammenhang mit der EU-Türkei-Erklärung von 2016, die darauf abzielte, irreguläre Migration einzudämmen, jedoch in der Praxis zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen führte. Italien hingegen setzte weniger auf Inhaftierung und verfolgte eine andere Strategie im Umgang mit ankommenden Migrant*innen.

Spanien: Ein alternatives Modell des Migrationsmanagements

Im Gegensatz dazu verfolgt Spanien einen anderen Ansatz. Besonders auf den Kanarischen Inseln werden ankommende Migrant*innen zügig aufs Festland weitergeleitet und erhalten dort Arbeitserlaubnisse. Dies spiegelt das Bewusstsein Spaniens für den Bedarf an Arbeitskräften wider und zeigt die Anerkennung der wirtschaftlichen Vorteile von Migration. So hat Spanien kürzlich beschlossen, jährlich etwa 300.000 undokumentierten Migrant*innen eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu gewähren, um den Arbeitsmarkt zu stärken und dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Auch auf europäischer Ebene wird zunehmend erkannt, dass Migration eine Lösung für die Herausforderungen des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels sein kann.​

Elastic Borders: Ein neues Paradigma für Grenzen

Abschließend stellte Dr. Ayata das Konzept der „Elastic Borders“ vor, das eine flexible und humane Gestaltung von Grenzen im 21. Jahrhundert vorsieht. Anstatt starre und abschottende Grenzregime zu verfolgen, plädiert dieses Konzept für dynamische und anpassungsfähige Grenzen, die sowohl Sicherheitsbedenken als auch humanitären Verpflichtungen gerecht werden. Dies erfordert ein Umdenken in der politischen Gestaltung und eine Abkehr von der reinen Fokussierung auf Abschottung hin zu einer integrativen und menschenzentrierten Migrationspolitik.​

 

 

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