Verschwörungstheorien und komplexes Denken: Ein Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Gerald Steiner
Ein interdisziplinärer Blick auf gesellschaftliche Herausforderungen
Am Donnerstag, dem 22. Mai 2025, durften wir im Rahmen unserer wirtschaftspolitischen Vortragsreihe Univ.-Prof. Dr. Gerald Steiner begrüßen, Dekan der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung an der Donau-Universität Krems. Sein Vortrag drehte sich um ein höchst aktuelles Thema: Verschwörungstheorien im Kontext gesellschaftlicher Krisen – und die Rolle des komplexen Denkens bei deren Entstehung und Prävention.
Besonders beeindruckend war, dass Prof. Steiner uns nicht nur Forschungsergebnisse präsentierte, sondern auch das wissenschaftliche Netzwerk dahinter vorstellte: Das Transatlantic Research Lab on Complex Societal Challenges, in dem Forscher:innen unterschiedlichster Disziplinen und Institutionen aus Europa und den USA zusammenarbeiten.
Transdisziplinäre Forschung als Zukunftsmodell
Ein zentrales Anliegen von Prof. Steiner war es, die Bedeutung transdisziplinärer Forschung zu betonen. Dabei geht es nicht nur um die Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch um die aktive Einbindung von gesellschaftlichen Akteur:innen außerhalb der Wissenschaft. Ziel ist eine Forschung, die praktikable Lösungen für komplexe Probleme wie Pandemien entwickelt – zum Beispiel durch sogenannte „Decision Theatres“, die auf Basis vorausschauender Datenanalysen Krisenszenarien simulieren und Handlungsspielräume frühzeitig erkennbar machen.
Was fördert den Glauben an Verschwörungstheorien?
Im Zentrum des Vortrags stand die Präsentation einer groß angelegten Studie, die Prof. Steiner gemeinsam mit internationalen Kolleg:innen veröffentlichte. Diese basierte auf Daten von 3.067 Erwachsenen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (D-A-CH-Region) und untersuchte die Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen, sozialen Faktoren und dem Glauben an Corona-bezogene Verschwörungstheorien.
Die Ergebnisse zeigen klare Risikofaktoren:
- Ablehnung von COVID-Maßnahmen
- fehlende Impfbereitschaft
- regelmäßige Teilnahme an religiösen Veranstaltungen
- nicht wählen gehen
- eigene COVID-Infektion
- und in geringerem Maße: Elternschaft (vor allem bei Kindern unter 16 Jahren)
All diese Faktoren waren signifikant mit einem höheren Verschwörungsglauben verbunden.
Schutzfaktoren: Komplexes Denken und Vertrauen
Demgegenüber identifizierte das Forschungsteam auch Schutzfaktoren, die die Wahrscheinlichkeit verringern, an Verschwörungstheorien zu glauben:
- Optimismus
- Vertrauen in andere Menschen (interpersonales Vertrauen)
- Vertrauen in Institutionen
- vor allem aber: Komplexes Denken
Letzteres stellte sich als besonders starker Einflussfaktor heraus: Personen mit einem hohen „Complexity Thinking Score“ hatten über 50 % geringere Wahrscheinlichkeit, an pandemiebezogene Verschwörungen zu glauben.
Doch was bedeutet komplexes Denken eigentlich? Es beschreibt die Fähigkeit, mehrdimensionale Zusammenhänge zu erkennen, Unsicherheiten zu akzeptieren, und verschiedene Perspektiven gleichzeitig zu berücksichtigen, ohne vorschnelle oder vereinfachte Schlüsse zu ziehen.
Bildungspolitik und Vertrauen als Schlüssel
Ein zentraler Schluss der Studie – und des Vortrags – war: Um Verschwörungstheorien zu begegnen, braucht es mehr als Fakten. Es braucht Transparenz, Vertrauensaufbau und die Förderung komplexen Denkens, etwa durch gezielte Reformen im Bildungssystem. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, wie wichtig diese Kompetenzen für die Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft sind.
Kultur, Kritik und Kubrick
Den Abschluss bildete eine lebhafte Fragerunde, in der auch kulturelle Aspekte zur Sprache kamen. Prof. Steiner empfahl unter anderem die Dokumentation „Kubrick, Nixon und der Mann im Mond“, die sich mit der Frage beschäftigt, wie leicht sich Verschwörungstheorien verfestigen können – und wie paradoxerweise ein Werk, das sie kritisieren will, selbst zu ihrer Verbreitung beiträgt.